Würdigungen

Kommentar der Jury

Das kleine Unglück
von Cornelia Heynen-Igler

Schon dieser Titel „Das kleine Unglück“ ist ein gelungener Hinweis auf das, was
diesen Text auszeichnet. Ein kleines Unglück ist natürlich ein Klischee. Dieses
Klischee aber wird als solches sichtbar gemacht und in den Geschichten von
Cornelia Heynen-Igler gekonnt bedient.
In diesen Geschichten von „Kölnisch Wasser“ bis „Der junge Wertheimer“ werden
Erwartungshaltungen aufgebaut, sprachlich auf den Punkt gebracht, aber mit einer
gewissen Ironie unterlaufen: Schliesslich passiert ja eigentlich nichts. Gleichwohl ist
man begierig weiterzulesen.
In diesen streng durchkomponierten Geschichten wird fast so etwas wie der ganz
normale Traum vom gutbürgerlichen Leben in der Schweiz erzählt. Denn winkt im
Hintergrund nicht der „Toggenburger Trostpreis“.
Hinter dieser „Leichtigkeit des Seins“ werden Abgründe sichtbar. Diskret angedeutete
literarische Anspielungen aber lassen in diesem „kleinen Unglück“ Pathos erst gar
nicht aufkommen.
So bleibt man neugierig bis zum Schluss. Und hofft auf eine Fortsetzung.

Engelbert Reul
Laura Margelist Heinzmann
Stephan Furrer

Kommentar von Prof. Dr. Mario Andreotti

Das kleine Unglück
von Cornelia Heynen-Igler

Die neun Geschichten, die leicht aus dem Zusammenhang lösbare Episoden darstellen,
sind untereinander vor allem durch die Figur der Gesa und deren Schicksal verknüpft.
Insofern lässt sich, nimmt man die Geschichten als ein Ganzes, von einer
Spielform des modernen Episodenromans sprechen und wird dabei ein wenig an
Daniel Kehlmanns Roman „Ruhm“ erinnert. Die Autorin verwendet nicht durchwegs,
aber doch auf weite Strecken hin, für Kurzgeschichten vollkommen passend, den
personalen Erzähler, der eben nicht allwissend ist („Vielleicht lag es wirklich an ihrem
weiblichen Körperbau, dass sie [Gesa] so unsportlich war…“) und der den Leser immer
wieder zur eigenen Sinngebung zwingt. Auffallend in fast allen Geschichten das
Durchbrechen des konventionellen Erzählanfangs, indem der Leser gleichsam in einen
Fiktionsraum hinein ‚gestossen‘ wird („Wertheimer heisse der Junge, behauptete
Dorli,…“), der sich ihm erst nach und nach erschliesst. Auffallend auch der wiederholte
Durchbruch der Chronologie, indem der Erzähler in Form von Rückblenden immer
wieder in die Vergangenheit zurückgreift. So wenn er in der Erzählung „Josef und der
Idiot“ beispielsweise die Geschichte der Kindheit von Gesas Vater nachholt. Auffallend
schliesslich auch die Spannung zwischen Erzählvergangenheit und Erzählgegenwart,
zwischen epischem Präteritum und epischem Präsens („Wenn Gesa ihr
Gesicht heute im Spiegel betrachtet, ist sie ratlos wie ein Kind,…“), die den fiktionalen
Charakter der Geschichten zusätzlich betont.
Bei den episodischen Geschichten von Cornelia Heynen-Igler handelt es sich um
Texte voll erotischer Spannung, die alles andere als in ein einfaches Happy End
münden. Ein von moderner, reflektierter Erzählkunst und von Sprachwitz sprühender
Episodenroman, den man gerne liest.

Prof. Dr. Mario Andreotti, St. Gallen